„Die Stadt von morgen ist eine ständige Transformationsaufgabe“
Bei einem Rundgang durch den Digital Hub Logistics erzählte Hamburgs neue Wirtschaftssenatorin Dr. Melanie Leonhard, wie sie die Logistik als Wirtschaftsbereich einschätzt und was sie für die Branche in Hamburg tun will.

LIHH: Frau Dr. Leonhard, es gibt derzeit viele negative Nachrichten, die Lieferketten sind unterbrochen, die Preise steigen, die Angst vor einer Rezession wächst. Wie wollen Sie angesichts der aktuellen Herausforderungen im neuen Ressort Optimismus in der Wirtschaft verbreiten?
Dr. Melanie Leonhard: Ich finde, es gibt geradein Hamburg viele Gründe für Optimismus. Wirhaben hier mit dem Hafen und dem Geist der Stadt, der so offen ist für Veränderung, eine Menge guter Voraussetzungen, um zuversichtlich zu sein. Und dieses Gefühl war auch schon immer da: Hamburg ist ein Standort, an dem man traditionell immer viele Menschen findet, die bereit sind, aus Krisen Chancen zu machen.
Die Attraktivität des Wirtschaftsstandorts Hamburg steigern, die Digitalisierung schnell ausbauen, den Hafen stärken – mit Ihrem Start im neuen Amt meldete sich die Wirtschaft mit zahlreichen Erwartungen an Sie. Welches Thema ist Ihnen das wichtigste und warum?
Es gibt aus wirtschaftspolitischer Sicht mehrere große Aufgaben. Eine davon ist die Dekarbonisierung der Industrie, aber auch des Verkehrs und damit der Logistik. Denn Hamburg soll das Logistikzentrum Nordeuropas bleiben und sich weiterhin entwickeln können. Die zweite große Aufgabe ist, dass wir in der Stadt Wertschöpfung in Gewerbe- und Industriegebieten so gestalten, dass das kein Widerspruch zur Stadtgesellschaft ist. Dass man den Hafen als schöne Kulisse empfindet, ist toll, aber er hat auch eine wichtige Aufgabe, und dafür sollten wir alle stärker werben. Die dritte wichtige Aufgabe ist, dass wir uns den Herausforderungen der Zukunft stellen, indem wir Wertschöpfungsketten weiterentwickeln und neu aufbauen. Gute Wirtschaftspolitik kann einen Rahmen dafür setzen und Ideen generieren, die das unterstützen.
Noch als Sozialsenatorin haben Sie an der von der LIHH mitinitiierten Aktion „Hamburg sagt Danke“ teilgenommen, um den unermüdlichen Einsatz der Beschäftigten in der Logistik wertzuschätzen. Wie wichtig bleibt Ihnen in Ihrem neuen Amt die Logistik als Wirtschaftsbereich und als Arbeitgeber?
Viele Menschen wissen nicht, wie vielfältig Logistik ist – sie ist ein großer Chancenmarkt, was Arbeit betrifft. Und kaum eine Branche ist ohne Logistik überhaupt denkbar. Sie ist das Netz, das alles zusammenhält. Zu einer guten Wirtschaftspolitik gehört es daher, diese Funktion und Bedeutung der Logistik für funktionierende Lieferketten und Geschäftsprozesse in den Blick zu nehmen. Das wird bisher nicht genug gesehen. Wir alle haben gerne an Weihnachten zur richtigen Zeit das passende Geschenk für die uns wichtige Person unterm Baum. Aber kaum jemand macht sich Gedanken darüber, was das für die Menschen bedeutet, die dafür Sorge tragen. Es ist mir ein großes Anliegen, zu zeigen, dass wir auf eine funktionierende Logistik angewiesen sind. Und dass diese funktioniert, hängt oft mit den Menschen zusammen, die sie betreiben. Die haben sehr viel mehr Wertschätzung verdient, als ihnen bisher entgegengebracht wird. Eine erfolgreiche Stadtwirtschaft wird von Menschen gestaltet, die hier ihre berufliche Zukunft sehen und für die ihre Arbeit mehr ist als Broterwerb. Deshalb gehören Chancengerechtigkeit und gute Möglichkeiten, sich selbst zu entfalten, in allen wirtschaftspolitischen Fragen aus meiner Sicht dazu.
Hat Hamburg in Sachen Digitalisierung noch besonders dringende Hausaufgaben zu erledigen?
Beim Thema Infrastruktur ist das sicher der Fall, da hat eine Metropole wie Hamburg immer Hausaufgaben. In dem Moment, in dem man glaubt, man hat alles fertig, fehlt schon wieder etwas Wichtiges. Für die Digitalisierung müssen wir ein Umfeld zur Verfügung stellen, von Glasfaser bis zu kreativen Räumen wie dem Digital Hub Logistics, damit die Lösungen, die es heute vielleicht noch nicht gibt, entstehen können. Die Stadt von morgen ist eine ständige Transformationsaufgabe.
Worin besteht bei der Wasserstoffstrategie unter Senatorin Melanie Leonhard der wesentliche Unterschied zu der unter Ihrem Vorgänger Michael Westhagemann?
Ich habe das große Privileg, dass ich auf den Grundlagen aufbauen kann, die er gelegt hat. Michael Westhagemann hat die ersten Impulse dafür gesetzt, dass sich Hamburg des Themas annimmt und erste Ansätze Wirklichkeit werden. Meine Aufgabe wird sein, seine Arbeit weiterzuentwickeln und Nutzbarkeit, Hochlauf und Alltagstauglichkeit voranzubringen.

„Viele Menschen wissen nicht, wie vielfältig Logistik ist – sie ist ein großer Chancenmarkt, was Arbeit betrifft.“
Dr. Melanie Leonhard, Senatorin für Wirtschaft und Innovation in Hamburg
Wie bewerten Sie die bisherige Clusterpolitik der Hansestadt, und welche Rolle werden die Cluster zukünftig für Hamburg spielen?
Allein die Tatsache, dass wir sieben, vielleicht bald acht Cluster in so verschiedenen Bereichen haben – von Life Science über erneuerbare Energien und Gesundheitswirtschaft bis hin zu Logistik –, zeigt schon, wie vielfältig der Wirtschaftsraum Hamburg ist. Über Cluster können wir als Senat sehr gut Rahmenbedingungen und Anreize für Vernetzung schaffen, und daraus wächst noch mehr Aktivität sowie am Ende auch Wertschöpfung. Ich sehe sie daher als gutes Beispiel dafür, was passieren kann, wenn ein Staat sich nicht aus allem raushält und dennoch all jenen Akteurinnen und Akteuren das eigentliche Handeln überlässt, die Expertinnen und Experten für ihre Branchen sind.
Wie blicken Sie persönlich auf die kommenden Monate und Jahre Ihrer Amtszeit?
An jedem Tag, an dem ich auf Hamburg schaue, sehe ich, warum es sinnvoll ist, dass wir uns nicht auf Erreichtem ausruhen, sondern gerade in der Wirtschaftspolitik daran arbeiten, dass nicht nur erhalten bleibt, was da ist, sondern dass es sich auch weiterentwickeln kann. Weiterentwicklung ist immer das Gegenteil von Selbstgewissheit. Wenn man auf die vergangenen 300 Jahre von Hamburg schaut, sind die Dinge immer dann vorangegangen, wenn da Entwicklungswille war.